Lum, 2. Tag des Engels 1508 n. B. - BERICHT I
Mirabella Hügelkappe nahm die Beschattung von Sakharinas gescheiterten Rettern erst wieder am heutigen Tage auf.
Sie fand jedoch heraus, dass Lothar vom Pappelwald und Lucian Vrinn die gestrige Weiße Nacht noch gemeinsam begangen hatten; wenn auch nur im kleinen Rahmen.
Die beiden Männer hatten sich im schlichten Gasthof Zur Linde, vor den Toren von Königshafen, zu einem bescheidenen Abendmahl getroffen, während die Stadt den ersten Sommertag und die kürzeste Nacht des Jahres wahrlich ausschweifend feierte.
Offenbar wurden sie von der Absicht geeint, der Schwarzen Insel X ihre Geheimnisse abzutrotzen, denn sie machten sich gleich am 2. Tag des Engels daran ein Schiff - oder Boot - für das Übersetzen dorthin aufzutreiben.
Zudem versuchten sie nebenbei mehr über das angeblich verfluchte Eiland in Erfahrung zu bringen. So folgte Mirabella dem Waldläufer und dem Dieb bereits am Vormittag zum Laden des Nekromanten Iphelgor: Staub & Knochen.
Es sei erwähnt, dass jener Iphelgor von Tabaran einer der wenigen Zauberkundigen in Eralion ist, der noch von der königlichen Magiergilde X eine Lizenz zur Ausübung seiner weißen Nekromantie erhalten hatte. Die Solthurim halten ihn unseres Wissens nach trotzdem unter strenger Beobachtung.
Iphelgor von Tabaran
Mirabella konnte den beengten Verkaufsraum von Staub & Knochen selbstverständlich nicht zusammen mit Lothar und Lucian betreten, denn sonst wäre die unbemerkte Beschattung der beiden zu Ende gewesen. Stattdessen folgte sie dem Zweiergespann nach dessen Ladenbesuch bis zu Halias Taverne. Erst als die Männer sich etwas zu Trinken bestellten, lief sie zurück zu Iphelgors Antiquariat.
Nachdem auch unsere Agentin zwischen den raumhohen Regalen voller staubiger Bücher und gläserner Schaukästen mit schauderhaftem Inhalt nichts Neues über die Insel oder ihre unwissenden Mitstreiter erfuhr, rannte sie schnellstmöglich zurück zum Fernen Galgen.
Bei wässrigem Bier und fragwürdigem Fleischeintopf hatten unterdessen Lothar und Lucian erfahren, dass ein altes, verwitwetes Fischerweib namens Svetla das Boot ihres verstorbenen Gatten veräußerte.
Wenig später war das Geschäft auch schon abgeschlossen. Als die Männer an Bord gehen wollten, wurden sie allerdings vom Haken des Schnäppchens angesprungen: zwei fette Ratten, so groß wie Bluthunde!
Die Biester verteidigten ihre hölzerne Heimstätte voller Inbrunst, doch die Klingen von Lothar und Lucian machten ihnen rasch den Garaus. Anschließend wurden die Rattenkadaver kurzerhand ins Hafenwasser geworfen.
Dann wollten die beiden Abenteurer bereits ablegen. Im letzten Augenblick machte sich Mirabella bemerkbar und verlangte mit auf die Insel genommen zu werden.
Waldläufer und Dieb musterten ihre ehemalige Reisegefährtin, dann sahen sie einander an und nickten schließlich. Auf der Schwarzen Insel können sie jede Hilfe gebrauchen, das wussten sie.
Die Halbling sprang zu den beiden Menschen in das alte Ruderboot. Kurz darauf hatten sie Königshafen verlassen und glitten auf das düstere Eiland zu.
Auf der Überfahrt erzählte Lothar was er vom Wirt des Gasthofs erfahren hatte. Demnach wurden angeblich unter Burg Drachenklaue vor Jahrhunderten namenlose Schrecken eingekerkert, die mit der Zeit das heilige Gleichgewicht der Grünen Göttin vergiftet haben und damit bei der hiesigen Fauna für unnatürliches Wachstum gesorgt hatten.
Waren die Riesenratten im Ruderboot ein Beweis für die Geschichten von Torhil Valmaer?
Die Burg ist heute jedenfalls nur noch ein Haufen schwarzer Steine. Wenn sie einst tatsächlich auch als Gefängnis für übernatürliche Wesen gedient hatte, was war mit den Kerkern und den Gefangenen geschehen?
Kam das Kreischen und der ledrige Flügelschlag in den schwarzen Wolken, während der Überfahrt von Leira, jenen namenlosen Schrecken?
Lothar vom Pappelwald, Lucian Vrinn und Mirabella Hügelkappe waren auf dem Weg es herauszufinden.
— Wendelyn, Stadtschreiber und hoher Herold von Peredur
X Die Insel südlich von Königshafen wird gemeinhin als “Schwarze Insel” bezeichnet. Sie wird jedoch nicht nur wegen den unzähligen schwarzen Steinbrocken auf dem Eiland so genannt, sondern auch auf Grund der finsteren Dinge die dort vor sich gingen.
XX Es ist mir selbstverständlich bekannt, dass die Gilde mit dem Tod des letzten Drachenkönigs und den Neuerungen von Herzogin Galynda Belram in die Gilde der Magie umbenannt wurde. Die Lizenz geht allerdings noch auf die glorreiche Zeit unter König Auraeus III. zurück.