Nym, 8. Tag des Engels 1508 n. B. - BERICHT I
In Begleitung des Waldläufers Lothar vom Pappelwald und dem zwielichtigen Zauberkundigen Cato, sowie deren Mietlinge, setzte unsere Agentin Mirabella Hügelkappe am heutigen Vormittag von Königshafen mit dem Ruderboot zum Sonnenturm der Solthurim über.
Das uralte Bauwerk aus schneeweißem Stein ragte hoch oben auf den Klippen wie eine funkelnde Speerspitze in den düsteren, wolkenverhangenen Himmel über dem Nivian auf. Mirabella, Lothar und Cato erklommen die steilen, in den Fels geschlagenen Treppen, während ihr Gefolge die Boote bewachte.
Viele Stufen später betraten die drei Abenteuernden mit hämmernden Herzen ein verwittertes Plateau aus grauschwarzem Stein. Es wies nur noch an wenigen Stellen seine ursprüngliche, makellose Polierung auf. Vier Gebäude erhoben sich von diesen windgeplagten, weißgeäderten Grundfesten. So umringten drei niedrige Kuppelbauten von unterschiedlicher Größe den Sonnenturm im Zentrum des Plateaus.
Alle drei Kuppeldächer waren mit Steinschindeln gedeckt. Der größte Bau besaß blaugraue Schindeln, der Mittlere grüngraue und der Kleinste rotbraune.
Auf der anderen Seite des Areals, betrat ein weiteres Dreiergespann das grauschwarze Plateau: zwei Männer und eine Elfe.
Die beiden Menschen waren bekennende Anhänger des Lichts. Der eine trug das Blau Lumaenors und nannte sich Pius, der andere stellte sich als Joran vor und auf seinem Schild prangte ein weißer Panzerhandschuh, das Symbol der Weißen Faust. [^]
Die Elfe war zierlich, was aber unter einem dunkelgrünen Kleid, einem nachtblauen Umhang und einem weinroten Schultertuch weitestgehend verborgen blieb. Mit Lederrüstung und vollgepacktem Rucksack schien sie für jegliche Abenteuer gut gerüstet.
Die drei Reisenden hatten offenkundig dasselbe Ziel wie Cato, Lothar und Mirabella: der strahlende Sonnenturm der Solthurim. Und so fanden sich alle sechs kurz darauf vor dem Portal des eindrucksvollen Bauwerks wieder.
Zwei Wachen in gelben Gewändern versperrten dem halben Dutzend jedoch mit verschränkten Hellebarden den Zutritt. Die derben Frauen verlangten einen Passierschein von den Reisenden, welchen sie nicht hatten.
Cato versuchte es mit einer plumpen Fälschung, die dem Zauberkundigen lediglich Häme, Gelächter und ein paar Spritzer bräunlichen Speichels einbrachte. Die Wachen erklärten, dass Passierscheine nur von den Vorständen der drei Mondhallen im Austausch gegen Opfer an die Gottheiten Lumaenor, Nymia oder Taran zu erwerben waren.
Die sechs Besucher waren frustriert und durch das abschätzige Verhalten der Wachen sogar leicht verärgert. So teilten sie sich murrend auf, um die benötigten Passierscheine zu akquirieren.
Cato schlenderte in Richtung Roter Halle. Die beiden Glaubensmänner Joran und Pius gingen unterdessen auf die Blaue Halle zu.
Unsere Agentin folgte Lothar und der Elfe. Nerea schien in der Tierkunde bewandert und wurde offenbar auch von einem Raben begleitet, der entweder über ihren Kopf hinwegflog oder auf ihrer Schulter saß. Sie hatte braune lockige Haare aus denen ihre Ohren spitzten. Ihre Haut schimmerte im spärlichen Sonnenlicht grünlich, während in ihren bernsteinfarbenen Augen goldene Sprenkel funkelten.
In der Grünen Halle trafen sie auf ein Kräuterweib namens Theodora, umgeben von getrockneten Gewächsen. Die Vorsteherin der Mondhalle plauderte zunächst nett mit der Elfe und dem Waldläufer, dann erklärte sie sich bereit ihnen im Austausch gegen zwei Gläser Schattenkirschen einen Passierschein auszustellen.
Nerea und Lothar kehrten gleich mit vier der gläsernen Behältnisse vor das Portal des Turmes zurück. Pius und Joran berichteten von einem Zauberbuch, das vielleicht noch in der Geisterstadt Noskor zu finden war und von Elyas, dem Vorsteher der Blauen Halle, benötigt wurde. Phyneas, der Vorsteher der Roten Halle, verlangte dagegen den Kadaver eines Eulenbären im Tausch gegen einen Passierschein; behauptete Cato.
Das halbe Dutzend beschloss zusammen einen Passierschein zu erringen und nach Westen zu ziehen, wo der Shalunha in den Ertrunkenen Wald überging. Laut Theodora wuchsen dort diese ominösen Schattenkirschen. [^]*
— Wendelin, Stadtschreiber und hoher Herold von Peredur
[^] Da die Machtgruppe in den Herzlanden nicht sehr weit verbreitet ist, habe ich Erkundigungen über den Orden der Weißen Faust eingeholt. Es handelt sich um einen militanten Bund von Kleriker:innen, Paladin:innen und Ritter:innen die die Mächte des Lichts verehren und gnadenlos gegen Finsternis vorgehen. Sie erheben die Weiße Göttin ganz klar über Lumaenor, Nymia und Taran. Der Orden ist insbesondere in der Südmark und im Grenzgebiet zu Marisa tatkräftig.
[^] Ich werde bei der hiesigen Priesterschaft Nymias Erkundigungen über jene düsteren Früchte einholen. Die Vorsteherin der Grünen Halle erwähnte, dass “der Meister” die Kirschen für die Herstellung eines Zaubertrank es benötigte.*